Das Dekorative in der Kunst ist gar nicht die Nebensache in der Kunst, sondern eine der ersten Hauptsachen“ — dies Wort des grossen Schweizers hat der jüngere Badenser Meister, Ferdinand Keller von jeher durch die That bewahrheitet. Als der Vierundzwanzigjährige in der Pariser Weltausstellung von 1867 mit seinem farbenglühenden „Tod Philipp II von Spanien“ hervortrat, war es allen Wissenden klar, dass dieser Süddeutsche über ein dekoratives Genie verfüge, wie die zeitgenössische Kunst deren nur wenige ihr eigen nennt.
Am 5. August 1842 zu Karlsruhe geboren, besuchte Ferdinand Keller das Gymnasium seiner Vaterstadt, doch schon auf der Schulbank wurde es dem Knaben bewusst, dass nicht die Wissenschaft, sondern die Kunst jene Göttin sei, deren Diensten er sein Leben weihen müsse. Im Jahre 1858 folgte sein Vater einem Rufe nach Brasilien, grosse Bahn- und Brückenbauten sollten von dem geschickten Ingenieur dort ausgeführt werden. Ein älterer Bruder half dem Vater und Ferdinand, der Sechzehnjährige, durfte nach Herzenslust mit dem geliebten Pinsel und Stift hantieren. Die mächtige Natur der Tropen, die Farben- pracht ihrer Fauna und Flora wirkte wahr- haft berauschend auf ihn, er brachte nach vierjährigem Aufenthalt Stösse vonSkizzen und Studien mit in die Heimat zurück. Der Entschluss, fortan als Landschafter ganz der Mission zu leben, die Farben- und Formenwunder jener unbekannten Wälder auf der Leinewand zu schildern, stand fest bei ihm. Jedoch schon jetzt mischte sich in sein ideales Streben, in seine sanguinische Begeisterung ernste Selbstkritik; bei allem Komponieren und Kopieren nach der Natur war es ihm zum Bewusstsein gekommen, dass er zu einem rechten Können noch keinen wirksamen Grund gelegt habe. Ohne Zögern ging er nach Karlsruhe und wurde dort im Herbst 1862 Schüler von Schirmer, unter dessen Leitung vertiefte er seine von der Natur geschaffenen brasilianischen Stu- dien; das bekannteste Kellersche Bild aus jener Periode ist „Alexander von Humboldt am Orinoko,“ dies Gemälde wurde sofort von einem Karlsruher Kunstfreund er- worben. Nach dem Tode seines Lehrers Schirmer war Keller eine Zeitlang Schüler von Hans Gude; als aber der Wiener Canon in Karlsruhe auftauchte, wurde der junge Künstler sowohl von dessen geist- voller Persönlichkeit als auch von Canons glänzendem Können derartig gefesselt, dass er mit schnellem Entschluss von der Landschaft zur Figurenmalerei überging. Das erste unter Canons Leitung ge- schaffene Werk, welches durch Kraft der Darstellung und leuchtende Farben- gebung allgemeine Bewunderung er- regte, war jener anfangs erwähnte „Tod Philipp II.“
Kurz nach diesem Sieg ging Keller nach Rom und blieb dort bis er im Jahre 1872 als Lehrer an die Kunstschule von Karlsruhe berufen wurde, ln der Tiber- stadt lebte Keller viel mit Feuerbach zusammen, ihre Ateliers grenzten nahe an- einander. Die gewaltige Kunstwelt Roms mit ihren ergreifenden Eindrücken, beeinflusste den tief empfindenden Künstler aufs stärkste, sie liess ihn nicht zum Schaffen grösserer Werke kommen, aber seine Mappen füllten sich stetig mit landschaftlichen und figürlichen Skizzen; zurückgekehrt in die Heimat boten sie ihm den Stoff für sein grosses Gemälde „Nero beim Brande Roms,“ dessen Lokalstudien er aufs gewissenhafteste an Ort und Stelle gemacht hatte.
Die alten Meister und Italiens Himmel haben Keller zu Studien von einer Unmittelbarkeit der Auffassung und originellen Leuchtkraft des Ko- lorits begeistert, welche seinen da- maligen Studiengenossen Anselm Feuerbach des öfteren stark erregten, denn während der zagend undzögernd nicht vom Wollen zum Können ge- langte, liess Keller still und ernst seine Gedanken zu Thaten werden, die der Künstler Feuerbach neidlos bewunderte. So geschah es, dass während jener römischen Jahre einige Bilder in Feuerbachs Werk- statt entstanden, an denen Keller reichen Anteil hatte, die Beiden knieten in jener Zeit vor den gleichen Göttern, ihre Linien, ihr Kolorit wurde von einem kongenialen Zuge beherrscht.
Anderthalb Jahrzehnte später, als Feuerbach tot und seine Werke allmählich Wertschätzung bekamen, wurde Keller, der mittlerweile Professor und Mitglied der Galeriekommission in Karlsruhe geworden war, in einer Sitzung jener Kommission von dem verstorbenen Lübke freudig mit den Worten angeredet: „Da haben wir einen reizenden Feuerbach erwischt, ich will ihn für die Galerie kaufen.“ Dem sonst sehr ruhigen Keller fuhr es auf den ersten Blick heraus: „Schwindel, das ist eine Studie von mir, die ich 1872 in Rom gemacht habe.“ Das Bild: ein nackter Junge mit Flöte, war „Feuerbach 1852“ gezeichnet, jedoch Keller war es ein Leichtes, sein Autorrecht nachzuweisen und zum Entsetzen der Kunstkenner, welche vor Kellers Eintritt den Feuerbach hochgepriesen hatten, meldete sich auch ein Schüler Kellers, der bekannte Maler W. Voltz, der das Bild als eine Studie seines Meisters erklärte, unverkennbar für jeden, der mit Ferdinand Kellers Art vertraut sei.
Wie ein entfesselter Bergstrom bricht sich Kellers dekoratives Genie in jenem 1875 entstandenen Geschichtsbilde Bahn, welches die Karlsruher Galerie ihr eigen nennt, „Markgraf Ludwig besiegt die Türken in der Schlacht bei Sylankament“. Für seine erste Epoche ist dieses gran- diose Werk besonders charakteristisch. Das Ineinanderweben zahlloser malerischer Feinheiten mit einer wuchtigen Darstellung des tobenden Kampfes zeitigte eine Kom- position, wie sie koloristisch üppiger und dabei fantasiereicher und orientalisch echter kaum gedacht werden kann. Die gobelinartige Wirkung eines Gemäldes, welche nach zwei Jahrzehnten an Frank Brangwyn’s Bildern in Paris kritiklos bewundert wurde, sie ist schon hier vorhanden, mit dem Unterschiede nur, dass der Badenser die Tonlaute seiner Farbensprache leuchtkräftiger, energischer und vor allem reicher als der blasierte Belgier zu wählen versteht. Keller nennt dies Bild scherzhaft seine „Jugendsünde“, aber es ist eben eine, an der trotz alle- dem noch heute niemand achtlos vor- übergeht, es steckt Kraft und Farben- gefühl rechter Art darin.
In die siebziger Jahre fällt auch der Sieg, welchen Keller über neunzig Mit- bewerber in Dresden errang, einstimmig wurde sein Entwurf für den Vorhang des von Semper erbauten Hoftheaters prämiiert und zur Ausführung bestimmt. Den Mittelpunkt der herrlichen Kom- position, welche sich durch Schönheit der Zeichnung und Harmonie des Kolorits noch heute auszeichneet, bildet die geflügelte Fantasie; ihre Fackel erhebend, thront die holde Jovistochter umgeben von den nicht minder an- mutigen Vertreterinnen der Geschichte, Musik, Poesie und Tanzkunst; immer von neuem werden des Musentempels Besucher durch die festlich frohen und dabei doch harmonisch ruhigen Farbenaccorde gefesselt, welche der Künstler hier auf seiner Leinwand ausklingen lässt.
Kellers glänzende Begabung für dekorative Malerei grossen Stils war klar erwiesen, aber die Aufgaben sie zu bethätigen, liessen auf sich warten, und das ist um der deutschen Kunst willen zu bedauern. Zwar wurden in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre mehrere monumentale Werke von Keller aus- geführt, aber was hätte dieser mit souveräner Leichtigkeit gestaltende und mit überquellender Fantasie schaffende Künstler gegenüber grossen ihn begeisternden Flächen ersinnen und ausführen können! Dass allein das Fresko für ihn die rechte Entfaltung seiner malerischen Begabung sein könne, stand ihm fest, die erste Bethätigung dafür fand er in der Heidelberger Jesuitenkirche, welcher er eine „Plimmelfahrt Mariä“ in dieser Technik malte. Aber auch das Treppenhaus des Karlsruher Museums, welches zugleich Bibliothek, Gemälde- und Skulpturen- sammlung umschliesst, empfing einen bedeutsamen Wandschmuck durch Professor Kellers Hand. Die dortigen Fresken schildern in zahlreichen formvollendeten Gruppen „die klassische und romantische Kunst und Wissenschaft“; auch diese Gemälde sind in ihrer Vereinigung von Idealismus und Realismus ein beredtes Zeugnis von Kellers reicher Begabung. Gleichfalls jener Epoche gehört das grosse Wandbild an, welches die Aula der Heidelberger Universität schmückt. Die Gründung der Ruperta Carola wird hier durch einen Triumphzug der Pallas Athene dargestellt; eine jubelnde Studentenschar ist der Göttin Herold, bedächtig folgen diesem die berühmtesten Lehrer der Hochschule; das römische Zweigespann, welches Athene trägt, naht sich dem Thron des Kurfürsten Ruprecht, des Gründers der alma mater, den die Stadtgöttin Heidelbergs ob dieser Gunst dankbar bekränzt. Auch hier wieder bekundet Keller sein seltenes Geschick allegorische Idealfiguren mit den Trägern der Geschichte in historisch echtem Kostüm zu einheitlichen Kompositionen grossen Stils zu verbinden. Unsere grau in grau gehaltene Nachbildung giebt nur in den Formen einen Begriff von der Schönheit, die dem grossen Original eigen ist.
Jedoch Kellers Kraft war eine viel zu bewegliche und starke, um lediglich in jenen grossen Kompositionen zum Ausdruck zu gelangen. Das „in Schönheit leben“, welches der grösste Teil aller Sterblichen durchaus falsch versteht, hat in Keller eine der liebenswürdigsten und feinsinnigsten Verkörperungen gefunden. Für sich selbst und seine Person überaus anspruchslos und einfach, ist er in jeder Bewegung und Aeusserung von edelster Vornehmheit; seine nächste Umgebung: sein Haus und Atelier in Karlsruhe, seine Villa, Garten und Werk- statt „Malfried“ am Starnberger See, sind von ihm in einer Weise künstlerisch reich und dabei dennoch harmonisch ausgestattet worden, wie dies nur Wenige ihm gleichthun können. Gleich weit entfernt von Lenbachs in vergangenen Jahrhunderten schwelgenden künstlichen Innendekorationen, wie von der primitiven Nüchternheit eines van de Velde, schuf sich Keller Wohnräume, deren Ein- richtung dem Auge wohlthuend, dem drin Weilenden behaglich und dem Besitzer lausend Erinnerungen an schöne Vergangenheit weckend, ein buen retiro in dem Getriebe des Alltagslebens sind, wie die Gegenwart mit all ihrem Chic und Raffinement sie selten bietet. Das Treppenhaus und das Speisezimmer in Karlsruhe, der zum See abfallende Garten im bayrischen „Malfried“, die Terrasse, vor der sich der Starnberger See in all seiner Lieblichkeit und ernsten Schönheit ausbreitet, die Laubgänge des Parks, das Badehaus am Ufer mit seinem lauschigen Erker, die Segelflottille und die Ruderboote, der schattige Platz für das eifrig gepflegte Luftkegelspiel — all diese wohnlichen Einzelnheiten haben durch Kellers Schönheitssinn ein künstlerisches Gepräge er- halten, welches gerade durch das Nichtgewollte doppelt anziehend und anheimelnd wirkt. Selbst Boote und Schränke bauend, sein Heimwesen so malerisch glücklich ausgestaltend, dass jeder Gast eine Art Sonntags- frieden, Feststimmung empfin- det, das ist eine Seite von Kellers künstlerischer Persön- lichkeit, welche bei einer Wür- digung seines Schaffens nicht übergangen werden darf. Und in dieser künstlerisch schlichten und dabei doch vornehmen Lebensführung steht ihm die begabte, liebenswürdige Gattin „des Hauses Herrin“ als bester Kamerad treu zur Seite. Wer das gesellschaftliche Leben in Badens Hauptstadt kennt, weiss wie tonangebend seit Jahrzehnten das Kellersche Haus für die Kreise der Ge- bildeten ist, und nicht minder reizvoll wird die Gastfreund- schaft in Malfried geübt.
Mit Begeisterung und Hin- gabe übt Keller seit Jahrzehnten seinen Lehrberuf aus, er hatte hunderte von Schülern, darunter solche, die jetzt selbst zu den Meistern zählen; mit dankbarer Verehrung sehen sie alle zu ihrem Lehrer auf, der feinsinnig auf ihre Individualität eingehend, sie wirksam anregte und för- derte. Dass das Aufblühen der badischen Kunstschule mit zu Ferdinand Kellers Verdiensten gehört, darüber ist man einig. Sein auf das Ideale gerichteter Sinn, seine grossartige flotte Art des Komponierens, sein eminenter Farbensinn, verbunden mit ernstem zeichnerischen Können, sowie seine vielseitigen Erfahrungen auf allen Gebieten der Maltechnik, befähigten ihn, die treibende Kraft zu werden, von welcher sich zahlreiche jüngere Talente mit Begeisterung führen liessen. Die Vielseitigkeit seiner Begabung spiegelt sich auch in dem Werde- gang von Kellers Schülern wieder; die von ihm nie ausser Acht gelassene mit Erfolg gepflegte Stimmungslandschaft, das Proträt in seelischer und koloristischer Vollendung, Idealkompositionen, poetische Einzelfiguren, der ganze Reigen von Gestalten einer idealen und realen Welt, welche einst einen Rubens und Tilpolo zum Schaffen drängten, hat auch Geist und Hand des Badenser Meisters in ihren Bannkreis gezogen. Alles technisch Schwere, war Keller stets etwas Selbst- verständliches: Fresko, Oelmalerei aller Art, Tempera, Aquarell, Kreide, Pastell, alles handhabte er mit einer Sicherheit, welche nicht nur Laien, sondern mehr noch selbstschaffende ernste Künstler des öfteren höchlichst überraschte. Auch auf dem Gebiet der Plastik versuchte er sich mit Glück, unser Schild bekundet dies. Architektur, Landschaft, Akte, Kostümfiguren aller Zeiten, Pferde, Hunde, Putten, Vögel, Ornamente, Blumen, Waffen — „mit einem Wort: die grosse und kleine Welt, er giebt sie uns im Spiegelbilde wieder“ — sagt bekanntlich Fontane von Menzel, das gilt in gewissem Sinne auch von Keller, nur mit dem Unterschied, dass sein Spiegelbild die Natur in etwas verklärt, sie in einen Glanz und Schimmer hüllt, über den eben nur ein rechter echter Kolorist, wie Ferdinand Keller ist, gebietet. Mit Trauer hat mir Menzel mehr- mals gesagt, „ich bin kein Kolorist, das fehlt mir“; nun, dies Manko hat Keller eben nicht, der Kolorismus, das dekorative Element ist seine Stärke und giebt ihm jenes Uebergewicht, welches der Meister der Farbe hat.
Ferdinand Keller ist denn auch der einzige geblieben, welcher uns in der „Verherrlichung des Kaiser Wilhelm I.“, dem Besitztum der Berliner National- galerie, ein malerisches Dokument jener grössten Epoche unserer vaterländischen Geschichte schuf. Mutig ging der Badenser im Jahre 1887 an die gewaltige Aufgabe, den Vater des Vaterlandes, inmitten der Helden, welche ihm das Reich gründen halfen, zu einem glänzenden Siegeszuge zu vereinen. Die Verherrlichung des von Allen geliebten Flerrschers in der denkbar idealsten Weise zur Erscheinung zu bringen, war der Kern seines Strebens. Der kühne Badenser unternahm es, er zeigte uns Norddeutschen, die wir seit Jahrzehnten die Thaten und grossen Augenblicke jener Zeit fast nur in den streng realistischen Darstellungen eines A. v. Werner, Röchling u. s. w. verewigt sahen, wie ein solches Thema ideal aufgefasst werden könne. Dass ihm dies schwere Unternehmen, die uns Allen be- kannte Wirklichkeit mit der halb visioneilen Welt der Geister in einen Accord von völlig befriedigender Harmonie aus- klingen zu lassen, nicht völlig gelingen konnte, liegt in dem be- dingten Können, dessen Grenzen jeder, auch der grösste Künst- ler, schmerzlich empfindet; an- dererseits aber wird jeder, welcher ein offenes Auge für die grossen Schwierigkeiten dieser Aufgabe — die einem nord- deutsch kritisch zergliedernden Geiste beinahe unüberwindlich scheinen — hat, dankbar an- erkennen, dass hier ein patrio- tischer, feinfühliger Künstler etwas geleistet hat, für dessen Vollendung ihm jeder Deutsche Dank schuldet.
Anfang der neunziger Jahre vollendete Keller eine im Um- fang kleinere Apotheose Kaiser Friedrich III. Von dem rau- schenden Jubel der „Verherr- lichung“ ist natürlich in diesem Werke nichts zu spüren, ein ernster Zug umschwebt die Komposition, deren Mittelpunkt der Held von Wörth auf hoch sich bäumendem Roshe ist. Wild zerrissenes Terrain, Schanz- körbe, erinnern an das Schlacht- feld, die Kaiserkrone, welche der Genius ihm reicht, ist ver- schleiert; dunkles Wettergewölk ballt sich zusammen, nur von ferne leuchtet am Horizont ein goldner Glanz. Das Bild ist mit verblüffender Genialität gemalt und eine ergreifende Stimmung spricht sich in ihm aus.
Die nächsten Jahre brachten Keller neben zahllosen, von ihm oft abgelehnten Porträtaufträgen die Ausschmückung des von Neckelmann erbauten Landes- gewerbemuseums in Stuttgart durch zwei grosse monumentale Wandgemälde, welche Württembergs Geschichte in dekorativ wirksamster wuchtiger Weise zur Erscheinung gelangen lassen. Die riesigen Wandflächen des Stuttgarter Gebäudes, welche jedem anderen Künstler Schauder erregt hätten, feuerten Keller zu einer Schnelligkeit und Freudigkeit des Schaffens an, welche für die Zusehenden etwas Phänomenales hatte. In der schwäbischen Hauptstadt, wo man bis in allerjüngste Zeit gewohnt war, Künstlerisches sehr langsam entstehen und reifen zu sehen, wirkte Kellers geniales Draufgehen, welches ein so treffliches Resultat zeitigte, geradezu aufregend.
Zahlreiche Medaillen und Auszeichnungen wurden dem Badenser Meister zu teil, auch der Württemberger Kronenorden, welcher seinem Inhaber persönlichen Adel verleiht, gehört ihm seit lange, jedoch er ist einer der seltenen lebenden Künstler, welche das dekorative „von“ verschmähen, meinen, dass der ehrliche Vatersname allein genügend sei. Bei dem Wettbewerb um die Gemälde des Ham- burger Rathauses beteiligte sich Keller erfolgreich, eines unserer Bilder giebt farblos einen Teil jener genialen Farbenskizzen wieder, die ihm zwar den ersten Preis, jedoch nicht die erstrebte Ausführung brachten. Sehr zum Schaden der künst- lerischen Physiognomie des Rathauses der Hansastadt sind die Bilder selbst einem norddeutschen Kollegen über- tragen worden. Aber nach echter Künstlerart, die von innen, nicht von aussen die Impulse zum Schaffen erhält, Hessen ihn solche Misserfolge ruhig; in stetiger Folge entstiegen seinem Atelier jene Schöpfungen, welche in jeder Linie und in jedem Tone den hochbegabten Maler erkennen lassen, dem die seltene Fähigkeit gegeben ist, Uebernatürliches und Ideales in der bildenden Kunst in fesselnder Farbenschöne zu verkörpern.
Die Bilder unserer Keller-Nummer, welche mit Ausnahme des Heidelberger Wandgemäldes, das für eine grössere Schaffensperiode überaus bezeichnend ist, sämtlich den letzteren drei Jahren entstanden, zeigen den vielseitigen Künstler auf der Höhe seines Schaffens.
Dass sich Kellers Talent, entsprechend der ihm ge- stellten Aufgabe, mächtig zu regen pflegt, hat er bewiesen, so ist der Wunsch ein be- rechtigter, dass die nächste Zukunft seiner grossen Bega- bung ein Thema geben möge, in dem noch einmal seine üp- pige Malerphantasie zu Nutz und Frommen der deutschen dekorativen Wandmalerei ihre Schwingen entfalten kann; die hohen Wölbungen der Wandelhalle des deutschen Reichstagsgebäudes wären ein Schauplatz dafür. — Aber auch ohne Erfüllung dieses Wunsches bleibt Ferdinand Keller, der Badenser Meister der Farbe, einer der grössten Koloristen unseres Jahrhunderts, dessen stille harmonische Entwickelung und gewaltiges Können schon jetzt von Tausenden geschätzt, dereinst im Urteil der Kunst- geschichte noch grössere Geltung haben wird — denn er hat wenige Genossen, welche mit der Farben Gewalt und Reiz ähnliche Siege gewannen
H. Vollmar.
Ferdinand Keller: Entwurf zu einer Wandmalerei. (Siegesgöttin.)